(From Metal Inside, German music magazine, 18 July 2003.)

 

Killing Joke

 

 

Da sind Spannungen vorprogrammiert: Jaz Coleman, Frontguru der Düsterrocklegende Killing Joke ist Technikhasser und soll ein Interview mit einem Internet-Fanzine führen. Er findet die Remix-Scheibe "Alchemy" von 1997 schrottig, ich dagegen genial, dafür ist für ihn das neue, selbstbetitelte Album "Killing Joke" göttlich, ich bin da wieder etwas verhaltener mit Lob. Dazu bin ich ja auch nur Fanzineschreiberling und Lehrer, er hingegen Sänger einer Legende, klassischer Komponist und Dirigent (!), Produzent von diversen Pop-Alben (!!), seit neuestem Priester (!!!) und hat für das Album mal eben Dave Grohl (NIRVANA, FOO FIGHTERS) an den Drums, der auf Tour mal eben durch Ted Parsons (PRONG, GODFLESH) ersetzt wird und hält ohnehin nicht viel von Schlagzeugern. Willkommen in der verrückten Welt des großen Jaz Coleman! (oder war es andersrum?)

 

Wäre man böse, könnte man behaupten, dass es sich mit dem neuen Album, dem ersten nach dem bereits 1996 erschienenen "Democracy", um den Versuch einer Legende der 80er handelt, mit Hilfe eines Drummers der 90er ihre Magie ins neue Jahrtausend hinüberzuretten. Während Gitarrist Geordie und Basser Youth schon seit Ende der Siebziger mit Coleman unter dem Namen Killing Joke Musik machen, ist die Rekrutierung von Dave Grohl quasi eine Verjüngungskur, die dafür sorgen könnte, dass Killing Joke auch im 21. Jahrhundert noch ordentlich Relevanz besitzen.

"Wir sind inzwischen seit 24 Jahren aktiv, wir beinflussen somit schon die dritte Generation von Rockmusikern. Dave ist ein gutes Beispiel, er wurde von uns beeinflusst, hatte dann einen Riesenerfolg mit NIRVANA, die wiederum hunderte andere Bands inspiriert haben - und uns gibt es auch immer noch. Dave hat sich von vornherein angeboten, er hört noch mehr KILLING JOKE als ich selbst, seine Band Foo Fighters spielt gerne mal ein oder zwei gepflegte KJ-Coverversionen am Ende ihres Sets und als sie gerade durch Neuseeland tourten, wusste er, dass ich auch dort sein werde und schon war der Kontakt hergestellt. Ob die Band dadurch Relevanz hat oder inzwischen keinen Menschen mehr interessiert, wird sich zeigen. Das ist ja auch keine Herangehensweise an Musik! Wir machen uns die Musik, die wir im Plattenladen nicht finden, von der wir aber wollen, dass es sie gibt."

Entsprechend gibt es jetzt also ein neues Album, ein selbstbetiteltes sogar. Früher war so etwas zumeist das Debut einer Band, aber spätestens seit "Metallica" 1991 bezeichnen Bands gerne das Album mit ihrem eigenen Namen, das sie gerne als Meilenstein sehen wollen.

"Mann, ich war noch nie so stolz auf eine Platte! Ich höre sie jeden Tag rauf und runter, ich bin nach ihr noch süchtiger als nach Koffein. Aber wenn mir das mal einer gesagt hätte, dass wir 24 Jahre brauchen würden, bis wir so ein Album zustande bringen, mann, ich hätte mir sofort die Pulsadern aufgeschlitzt, weil ich die Geduld nie gehabt hätte. Aber nicht mal bei "Democracy" war das so, ich liebe jeden einzelnen verdammten Song, jeden Moment dieses Albums, es ist perfekt. Ich höre es mir jeden Tag drei mal an und bin jedesmal wieder überglücklich, dass wir so etwas geschaffen haben."

Als ich zugebe, zunächst etwas enttäuscht gewesen zu sein, aber es von Mal zu Mal mehr zu mögen, ist Coleman hörbar geknickt, dass ich seine Begeisterung nicht bedingungslos teile.

"Ich halte es jedenfalls für das explosivste Album, das wir je aufgenommen haben. Und wenn man unsere Platten anhört, merkt man auch, dass es hundertprozentig unser Stil ist, wir haben da nicht rumexperimentiert oder so, einfach eingestöpselt und das gemacht, was wir am besten machen. Wart´s nur ab, wenn du sagst, dass das Album wächst, dann wird es wachsen, bis es dich verdammt noch mal an den Eiern packt, haha!"

Und als wäre es noch nicht deutlich genug gewesen, packt er noch eins drauf:

"Weißt du, große Musik dreht sich um zweierlei: Freiheit und Leck-Mich. Sigar Beethoven wusste das! Und da wir schon so lange dabei sind, haben wir von beiden im Überfluss. Meinungen sind nun mal wie Arschritzen, jeder hat eine - na und?"

Was die Scheibe so explosiv macht, ist nicht nur das Schlagzeugspiel von Dave Grohl. Es liegt auch an der vorherrschenden Stimmung.

"All diese Wut und dieser Zorn, der sich in den Leuten aufstaut, ist auf dieser Platte zu finden. Schau, wenn in Großbritannien die überwältigende Mehrheit gegen den Irakkrieg ist, aber dennoch unsere Soldaten hingeschickt werden, dann sieht man doch, wie wir betrogen werden. Die Texte spiegeln diese Gefühle wieder. Auf unseren ersten Alben hatten wir die Texte ja nicht abgedruckt - es ist immer wieder amüsant, was die Leute denken, was ich da eigentlich seit zig Jahren singe, haha! Denn eigentlich geht es nicht um Botschaften und klare Worte, sondern um Gefühle von tief innen. Du musst eben auf ein Konzert kommen, um das Gesamtbild zu verstehen und die Emotionen einfangen zu können. Auch das hypnotische in unserer Musik kommt dort erst richtig zum tragen, wenn es dich in Trance versetzen kann. Wir sind KILLING JOKE, da werden keine halben Sachen gemacht, da rocken die Gitrarren auch noch. Wer sonst hat so eine Intensität? Sicher nicht Britpop-Tralala wie OASIS oder die bescheuerten RADIOHEAD (nanana! - mono), Gottseidank ist das alles vorbei, alte 60er-Riffs und Tambourine, das geht mir vielleicht auf den Sack! Davor war alles gesampelt, all die arbeitslosen Schlagzeuger, so konnte das doch nicht weitergehen. Doch sobald die Leute sauer sind, wenn es wieder Krieg und Elend hat, dann scheint unsere Zeit gekommen zu sein."

Keine schlechte Theorie, dass die Musik mit den Zeiten härter wird. Als 1991 der erste Golfkrieg lief, kam das vorhin schon erwähnte schwarze Album von METALLICA in die Charts, soviel dazu. Was KILLING JOKE hingegen fürchterlich geigen muss mit etlichen starken Alben in der Hinterhand, ist die Tatsache, dass ihr größter Hit nach wie vor "Love Like Blood" ist, eine wahre Gruft-Hymne, und sie diesen Song jedesmal wieder spielen müssen, wenn sie auftreten.

"Wir hatten schon fünf Alben und eine EP aufgenommen, bevor wir diesen verdammten Song geschrieben haben. Und ich wollte ihn nicht einmal mit auf die "Nighttimes"-Scheibe mit draufpacken, aber die anderen haben mich überredet und schwupps landet das Teil in den Charts - verrückte Welt! Aber ich liebe diesen Song, trotz allem, obwohl ich ernsthaft überlege, ihn mal eine Zeitlang von der Setlist zu nehmen."

Was man hingegen an neuen Material bringen könnte, sollte die Homepage www.killingjoke.com zeigen, auf der auch das aktuelle Video zu finden sein sollte - dummerweise ging die Seite zum Zeitpunkt des Interviews gar nicht, weshalb ich mir kein Bild machen konnte.

"Auf der Homepage sollte schon das neue Video drauf sein, aber da darfst du mich eigentlich nicht fragen. Ich habe das Internet noch kein einziges Mal in meinem Leben benutzt - um genau zu sein, besitze ich nicht einmal ein eigenes Telefon, nirgendwo auf der Welt. Man schimpft mich sogar Amish (Mitglied einer Glaubensgemeinschaft in den USA, die noch irgendwo im 18. Jahrhundert steckengeblieben ist und jeden Fortschritt als Teufelszeug verabscheut - mono), technophobisch wäre ein anderes passendes Wort. Ich benutze also weder Internet noch Telefon, ich erlaube keinem Auto die Zufahrt auf mein Grundstück, ich schreibe noch Briefe mit Stift und Papier, die man noch auf die Post tragen muss. Ich bin wohl kein wirkliches Kind dieser Zeit - und auch nicht wirklich an ihr interessiert."

Gottseidank spricht er aber zumindest für dieses Interview übers Telefon der Plattenfirma mit mir und Gottseidank hat er auch nichts gegen elektrische Gitarren - wobei man nicht vergessen darf, dass Coleman nebenbei auch ein sehr respektierter Komponist und Dirigent in Klassikkreisen ist, was durchaus konsequent ist, wie er erklärt:

"Was ich am Orchester mag, ist diese natürliche Resonanz, es kommt auch ohne Strom aus, es sind lauter natürliche Klangkörper, die miteinander eine unglaubliche Macht haben. Killing Joke hingegen leben von der Verstärkung und von der Energie, die vom Publikum herüberkommt. Leute, die tanzen, neben wild pogenden Fans, sich stapelnde Stagediver und generell gelebte Energie - nirgends habe ich das bisher so gefunden wie auf unseren eigenen Konzerten. Doch das eine und das andere haben sonst wenig gemein, das Orchester könnte keine KJ-Sachen spielen und KJ nichts vom Orchester, es würde nicht funktionieren. Hier bin ich schizophren, mir geben beide Sachen was, und wenn ich nicht mit der Band beschäftigt bin, dann mit dem Orchester oder umgedreht. Die meisten Fans können diesen Schritt nicht mit gehen, die Orchesterfans hassen KJ und die KJ-Fans können nur selten wirklich was mit dem Orchesterzeug anfangen."

Ich für meinen Teil wusste jedoch nur, dass Coleman mit dem New Zealand Symphony Orchestra (oder so) etwas veranstaltet hat, doch das ist auch nur die Spitze des Eisbergs.

"Nein, nein, das war nicht nur ein Projekt mal so! Ich habe schon mit den besten Orchestern der Welt gearbeitet! Royal Symphony, Royal Philharmonic, meine erste Oper war mit dem Royal Opera House in Covent Garden - übrigens bin ich auch da extremer als andere, es ging dabei um die Hochzeit von Jesus und Maria Magdalena, die Texte schrieb dazu Laurence Gardener, der "Bloodline Of The Holy Grail" geschrieben hat. Und den Auftrag habe ich von der Queen bekommen - das ist nun wirklich ein gutes Stück weg von Killing Joke, nicht?"

Wobei ich vermute, dass die Queen kaum KILLING JOKE hört.

"Wohl kaum, haha, naja, ich sehe die Royals eh lieber von hinten als von vorne, insofern haken wir das Thema mal besser ab und konzentrieren uns auf KJ"

Eben, ist ja auch ein sehr faszinierendes Thema. Was mich immer schon interessiert hat, ist, was in Jaz Coleman vorgeht, wenn er auf der Bühne steht. In Liveberichten liest man immer etwas von "Guru" oder "Hohepriester" oder "Schamane" - das trifft es auch ganz gut, denn er scheint völlig in Trance zu sein, die Augen weit aufgerissen und irrer Blick zu symbolschwangeren Bewegungen sind sein Auftrittsgebaren und auch sein unverwechselbares Markenzeichen.

"Ich kann dir das ein bisschen erklären. Ich gehe auf die Bühne und lange später wieder runter. Alles zwischendrin ist wie ein verdammtes Ölgemälde. Ich kann mich an wenig erinnern hinterher, es läuft irgendwie vor mir her. In zwei Wochen fangen wir mit den Proben für die Tour an, und eins ist sicher: je eher ich meinen Körper wieder an diese Intensität gewöhne, umso besser. Sich daran anpassen oder daran zugrunde gehen, dazwischen gibt es nichts.Ich stecke so viel Energie in das, was ich tue, dass ich ohne weiteres am Ende eines Songs umkippen kann - Sauerstoffmangel, verstehst du? Das ist mir schon öfter passiert, aber dann stehe ich halt wieder auf und singe weiter, hahaha!"

Sprichts und lacht ein manisches Lachen, dass ich mir nicht ganz klar bin, ob er mich gerade auslacht, weil er sich einen Spaß aus dem Interview macht - immerhin hat er vorher schon behauptet, die Nationalhymne von Neuseeland komponiert zu haben - oder ob dieses irre Lachen nur ein Ausdruck seiner Durchgeknalltheit ist.

"Ein Konzert ist etwas Heiliges für mich. Im Gegensatz zu anderen Gruppen sind wir uns bewusst, dass die Zeit auf der Bühne eine Zeremonie ist, ein Ritual. Ich liebe die Konzerte, weil es eine Art Kommunion ist, alle werden eins, ich fühle mich in allen im Raum im Einklang. Und danach fühle ich einen tiefen inneren Frieden."

Frieden im Inneren ist aber nicht zwangsläufig verbunden mit Frieden in der Welt außerhalb des Konzertsaals. Auch dazu hat Coleman seine klare, unißverständliche Meinung.

"Ich kann dir gar nicht sagen, wie beschissen es mir geht, wegen all dieser Veränderungen auf der Welt, vor allem dieser kriminelle Krieg im Irak. Jeder weiß, was ich über unsere Demokratie denke (spätestens nach dem letzten Album "Democracy"von 1996 - mono), ich denke wir werden beschissen von vorne bis hinten! All die gewählten Volksvertreter, schön und gut, aber die wirkliche Macht liegt woanders. Große Firmen, Gesellschaften, Banken, die haben die Macht. Das ist eine Frage, die mich seit jeher beschäftigt, nämlich wer denn nun tatsächlich die Fäden zieht. Ein Teil davon ließ sich entmystifizieren, als ich in der Schweiz Bankenwesen studiert habe. Das waren zweieinhalb Jahre, eins davon waren KJ mit in der Schweiz. Die andere Große Frage ist: Gibt es Magie wirklich, und wenn, dann will ich sie sehen. Auch das kann ich inzwischen beantworten, es gibt Magie und ich habe sie gesehen."

Was aber sicherlich nicht während des Banking-Studiums in der Schweiz zugetragen hat...

"Sag das nicht! Da gibt es viele Verbindungen. Die ersten Bänker waren doch die Ritter des Templerordens - und ich hatte zwei Jahrzehnte lang mit dem heutigen Äquivalent dieser Verbindung zu tun. Du konntest den Templern dein Geld geben und in einem anderen ihrer Klöster wieder etwas davon abheben - sowas gab es davor nicht"

Sowas gibt es auch heute nicht, zumindest wenn man Kunde der Sparkasse ist, aber wir schweifen etwas ab. Magie ist sicherlich auch eines der Worte, die einem zu einem KJ-Konzert einfallen. Dies ist, so Coleman, schon immer so gewesen.

"Oft passieren seltsame Sachen, wenn wir spielen. Ich erinnere mich noch, als KJ das allererste Mal zusammen geprobt haben, so 1978, das war in einem Kellerraum. Irgendwie ging da schon eine starke Magie von uns aus, denn während wir spielten, kamen lauter fremde Leute zu uns in den Proberaum, weil sie auch spürten, dass hier etwas seltsames passierte. Als wir die erste Jam-Session nach etwa 10 Minuten beendeten, war der Raum vollgepackt mit Leuten, und anschließend haben wir alle lauthals gelacht, weil wir spürten, dass die Vorsehung uns alle zusammengebracht hatte."

Damit die Magie des Interviews nicht flöten geht, habe ich Jaz Coleman nicht gesagt, dass es bei den Proben meiner Band auch schon vorgekommen ist, dass Leute von der Straße reingekommen sind und uns ausgelacht haben... Naja, vielleicht hat er es anderes gemeint... Lassen wir uns also erzählen, was es sonst noch neues gibt bei ihm.

"Wie gesagt, ich habe die Nationalhymne von Neuseeland umgeschrieben, mit der Queen gearbeitet, ausserdem bin ich noch Priester geworden, ich darf jetzt Leute verheiraten und beerdigen, cool, oder? Das ist jedesmal ein Fest bei mir. Und der Tag, als ich Dave Grohl getroffen habe, war der Tag vor meiner Priesterweihe - wir sind nach der Kragenverleihung bitterböse abgestürzt miteinander! Dass ich als Priester angenommen wurde, bedeutet wohl das Ende des Priesterstands, haha! Ich bin ein christlicher Priester, aber ich möchte diese Religion ein wenig verändern."

Aha... katholisch oder evangelisch oder gar anglikanisch?

"Vergiss den ganzen Scheiß! Das ist ohnehin unwichtig. Es ist eigentlich die Kirche von Neuseeland, wir akzeptieren Gott als weiblich ebenso wie männlich und bei uns gibt es auch einige aufreizende Tänze in den Kirchen. Viel mehr Feierstimmung bei uns, dazu natürlich auch immer umsonst Brot und Wein, ist ja eh klar.
Vor dieser Platte habe ich noch ein Album mit Nigel Kennedy aufgenommen (amerikanischer Stargeiger - mono) und davor - Sarah Brightmann, hahahaha! Alles in meinem Leben ist voller Kontraste, es ist ein gutes Leben, ich habe vor, der Musikindustrie soviel Geld wie möglich abzuzocken - einmal Pirat, immer Pirat!"

Tja, was bleibt da noch zu sagen? Mir fehlen die Worte und ich finde mein eigenes Leben bei aller Stressigkeit langweilig angesichts dieses Reichtums an Erfahrung. Jaz Coleman, KILLING JOKE - ich bin unwürdig! Danke für das Interview!